Grenzerfahrung bei und mit der Westalpenquerung
vom 7. -
19.September 2008
von Judith Locher und Kurt Anderau
Dem Grenzverlauf
Italien/Frankreich folgend, wollten wir mit unseren Bike's vom
Wallis über die Westalpen bis ans Mittelmeer.
1. Tag Martigny -
Refugio Elena
50 km /
2650 Höhenmeter
Es regnet, als wir in
Seuzach in den Zug nach Martigny steigen. Doch weil der Wetterbericht Besserung
versprach, beschlossen wir den Start zu wagen, und zu hoffen, dass sich das
Wetter auch wirklich an die Vorhersage hält.
Tatsächlich ist es trocken und die Sonne kämpft tapfer gegen die Wolken, als wir
unsere erste Etappe von Martigny über den Grand Col de Ferret nach Italien unter
die Räder nehmen. Bei kalter Witterung, bewältigen wir die ersten 1000
Höhenmeter über Champex auf Asphalt. Auch die Strasse durchs Val de Ferret ist
asphaltiert, bevor sie für die letzten paar Kilometer bis zum Grand Col de
Ferret in einen wunderschönen, fahrbaren Singletrail übergeht.
Die Aussicht vom Gipfel ist grandios und die technisch nicht ganz einfache, aber
grösstenteils fahrbare Abfahrt zum Refugio Elena auf 2000 m ist traumhaft schön.
Glücklich, diesen ersten Tag ohne Probleme überstanden zu haben, geniessen wir
vor dem Refugio noch die letzten Sonnenstrahlen, bevor die Sonne hinter den
Bergen untergeht und es augenblicklich kühl wird.
Fotos 1.
Tag
2.
Tag Refugio Elena - Bourg St. Maurice
60 km / 1400
Höhenmeter
Es ist kalt, Raureif
bedeckt das Gras. Der einmalige Singletrail ins Tal ist aber trotzdem gut
fahrbar. Schlotternd und frierend von der Abfahrt suchen wir einen Laden um
Proviant zu kaufen, bevor wir liebend gerne den wärmenden Aufstieg ins Val Veny,
zum Col de la Seigne in Angriff nehmen.
Bei schönstem Wetter können wir die geniale Landschaft am Mont- Blanc geniessen,
doch wir wissen, dass wir keine Zeit verlieren dürfen, denn das schlechte Wetter
sitzt uns im Nacken. Zudem hat die Hinterradbremse an Kurt's Bike keinen
Bremsdruck mehr, weshalb wir unser heutiges Etappenziel möglichst früh erreichen
müssen, denn wir hoffen dort einen Mechaniker zu finden. So ist die Abfahrt vom
Col de la Seigne für Kurt dann einiges spannender als für mich, aber er schafft
es ganz passabel.
In Bourg St. Maurice nimmt sich der Mechaniker (es gibt also einen!!!) dem
Problem auch sofort an. Um 18 Uhr sollen wir wieder vorbeikommen. Gut, um 18 Uhr
stehen wir vor Ort, doch leider konnte die Bremse nicht repariert werden. Eine
Dichtung ist defekt - ein Fall für eine Magura-Servicestelle, was es hier aber
nicht gibt. So bleibt uns nichts anderes übrig als eine komplett neue Bremse
einzubauen. Nach so viel Aufregung geniessen wir unser Abendessen in aller Ruhe
und hoffen, dass wir keine weiteren Probleme mehr haben werden. Wir stehen ja
noch ganz am Anfang unserer Tour.
Fotos 2.
Tag
3.
Tag Bourg St. Maurice - Modane
92 km / 2420 Höhenmeter
Um uns 3 Stunden
Fussmarsch abwärts durch den Vanoise-Nationalpark zu ersparen (Bikeverbot),
umfahren wir diesen westwärts über den Col des Encombres. Einsam und endlos
fahren wir durch faszinierende, karge Täler, stetig aufwärts. Mit etwas Glück
finden wir auf dem nicht ausgeschilderten Weg den Übergang ins Vallée de l'Arc
fast punktgenau, doch nun ziehen bedrohliche Regenwolken auf. So beeilen wir
uns, von hier wegzukommen.
Der erste Teil der Abfahrt führt über einen schmalen Wanderweg, ein Singletrail
erster Güte und technisch nicht allzu schwierig. Leider endet dieser plötzlich
auf einer grossen Alp. Karte und Orientierungssinn ist wieder mal gefragt. Doch
noch bevor wir uns definitiv für eine Route entschieden, kommt ein Trialfahrer
auf seinem Motorrad daher und hilft uns auf den richtigen Weg.
Das Stück bis zur Fahrstrasse wäre sicher auch einfacher und kürzer zu
bewältigen gewesen, doch unserem Führer machte seine neue Aufgabe sichtlich
Spass, denn die uns gezeigte Streckenführung war sehr spannend und forderte
nochmals volle Konzentration...
Fotos 3.
Tag
4. Tag Modane -
Refugio Fontana de Thurés
76 km /
2550 Höhenmeter
Wir müssen früh raus,
denn nach Roadbook stehen heute 10 Stunden Fahrzeit an. So verlassen wir bereits
um 8 Uhr unser Hotel und fahren Richtung Col de la Vallée Etroit. Der Aufstieg
ist zeitweise so steil, dass wir ab und zu per Pedes gehen.
Die Abfahrt ist genial, wenn auch gespickt mit ein paar kurzen Laufpassagen.
Über den Col de l'Echelle, den Col Montgenevre und zu guter Letzt den Col Sagna
Longa erreichen wir gegen 17 Uhr das Refugio Fontana de Thurés, wo wir herzlich
in Empfang genommen werden.
So spät im Jahr sind wir hier die einzigen Gäste, was der Gastfreundschaft des
Wirtes aber keinen Abbruch tut.
Fotos 4.
Tag
5. Tag Refugio
Fontana de Thurés - Pontechianale
86 km /
2700 Höhenmeter
Heute stehen 3, bis zu
2800 m hohe Pässe an. Das Wetter spielt allerdings nicht ganz mit. Wir starten
früh und überqueren - die Bikes tragend - den Col Mayt noch bei einigermassen
trockenen Verhältnissen. Doch dann setzt heftiger Regen ein, so dass wir
gezwungen sind, die Route zu ändern. Anstatt auf Wanderwegen, fahren wir über
den asphaltierten Col d'Agnol (2700). Auf der Abfahrt wird es dann richtig
ungemütlich und saukalt.
So machen wir beim ersten Refugio an der Strecke halt, und geniessen erneut eine
Übernachtung als einzige Gäste des Hauses.
Fotos 5.
Tag
6.
Tag Pontechianale - Vernetti
65 km /
2050 Höhenmeter
Als wir aufwachen, regnet
es noch immer. Doch die Vorfreude, heute unseren "Stützpunkt" (die Unterkunft
"Ceaglio" im Valle Maira) zu erreichen, lässt keine Zweifel zu. Als wir dann
losfahren, ist es zwar noch bitterkalt, doch es hat aufgehört zu regnen.
Unten im Tal in Sampeyre ist Markttag, Gelegenheit also, guten Proviant zu
kaufen, bevor wir uns auf den Weg zum Colle di Sampeyre machen.
Der Aufstieg ist lang, geteert aber trotzdem wunderschön. Auf dem Gipfel
betreten wir dann "bekannten Boden" und es macht mächtig Spass, sich hier so
ganz ohne Karte orientieren zu können. Wir machen lange Umwege, um die
einmaligen Singletrails im Valle Maira zu geniessen, bis Judith gegen 17 Uhr
darauf drängt, jetzt endlich Richtung "Ceaglio" zu fahren.
Zum Abendessen geniessen wir das standardmässige 7-Gang-Menue in vollen Zügen
und freuen uns auf den morgigen Ruhetag
Fotos 6.
Tag
7. Tag Vernetti
- Vinadio
60 km /
1675 Höhenmeter
Als wir aufstehen ist das
Wetter - wider erwarten - sehr gut! Das schlechte Wetter hat sich um 12 Stunden
verspätet. Resultat: Ende Ruhetag! Schnell packen wir unsere Sachen, um noch vor
dem Wetterumbruch über die Gardetta Hochebene und den Passo di Rocca Branchia
ins Stura-Tal zu kommen. Diese Gegend kann man nicht in Worte fassen. Einmalige
Landschaft, endlose Trails, 1000 Höhenmeter Downhill - lassen wir die Bilder
sprechen..
Fotos 7. Tag
8. Tag Vinadio -
La Bolline
72 km /
1930 Höhenmeter
Nun
hat uns das schlechte Wetter endgültig eingeholt. Die ganze Nacht regnete es wie
aus Kübeln und auf den Bergen liegt etwas Neuschnee. Der erste Pass, der
Lombardpass, ist aber geöffnet und beim bergauffahren ist auch die Kälte
erträglich. Auf halber Strecke verlassen wir die Fahrstrasse und nehmen die alte
Militärpiste, was sich später allerdings als Fehler herausstellt. Plötzlich
stehen wir im Schnee. Zuerst können wir, dank einer Autospur noch fahren, doch
schon bald ist der Schnee so tief, dass wir schieben müssen. Nach einer Stunde
Fussmarsch erreichen wir den Pass. 30 cm Nassschnee liegen hier auf der Strasse.
In Frankreich wurde der Pass - im Gegensatz zu Italien - gesperrt und der Schnee
nicht weggeräumt!!! Dass die Passstrasse nicht geräumt ist, stellt für uns zwar
kein Problem dar, doch der weitere Verlauf unserer Tour, über Wanderwege, ist
bei so viel Schnee unmöglich. Wir müssen ausweichen, Richtung Nizza und hoffen,
dass es wieder wärmer wird.
Fotos 8.
Tag
9. Tag La Bolline
- St. Dalmas de Tende
95 km /
2250 Höhenmeter
Mit grossen Umwegen fahren
wir weiter. Zwei hohe Übergänge können wir wegen dem Schnee nicht fahren. Wir
weichen aus über den Col de Turini und erreichen durch das Royatal St. Dalmas am
Fusse des Tendepasses. Von hier aus können wir morgen auf unsere geplante Route
zurückkehren! Wir freuen uns darauf.
Fotos 9. Tag
10. Tag St. Dalmas
de Tende - Limone
44 km /
1730 Höhenmeter
Jetzt ist es wieder
einmalig schön. Auf alten Militärstrassen fahren wir durch die endlose, einsame,
aber auch geschichtsträchtige Gegend auf die Nordseite des Tendepasses.
Die heutige Etappe ist kurz, dafür nehmen wir uns viel Zeit, die alten
Befestigungsanlagen zu besichtigen. Zum Teil verfallen, aber immer noch sehr
eindrücklich stehen sie da, als stumme Zeugen einer grausamen Zeit.
Die einzige Übernachtungsmöglichkeit bietet sich uns in Limone, 500 Höhenmeter
unter der Passhöhe. Zum Glück finden wir eine spannende Abfahrt…
Fotos 10.
Tag
11. Tag Limone -
Refugio Allavena
65 km /
2000 Höhenmeter
Zurück auf dem Tendepass
nehmen wir die ligurische Grenzkammstrasse Richtung Süden. Eine alte
Militärstrasse, faszinierend gebaut, rau aber wunderschön.
Zum Glück ist die Sonne zurückgekehrt. So richtig warm wird es aber trotzdem
nicht, da ein kalter Wind über die Berge weht. Dennoch geniessen wir diesen Tag
in vollen Zügen. Wir wollen gar nicht daran denken, dass dies bereits der
zweitletzte Tag unserer Überquerung ist.
Die Etappe ist lang, doch heute kann sie gar nicht lange genug sein! Als dann
aber Nebel aufkommt sind wir trotzdem froh, dass wir nach einer kalten Abfahrt
im Refugio Allavena, - welches sich wiederum 500 Höhenmeter unterhalb der
Passhöhe befindet - eine, wenn auch bescheidene, Unterkunft finden.
Fotos 11.
Tag
12.
Tag Refugio Allavena - Ventimiglia
55 km - 1170 Höhenmeter
Zum Aufwärmen fahren wir
die gestern Abend so schnell vernichteten 500 Höhenmeter wieder bergauf, da wir
heute noch das letzte Stück der ligurischen Grenzkammstrasse bis nach
Ventimiglia unter die Räder nehmen wollen.
Von den Gipfeln sehen wir das Mittelmeer! Es scheint so nah und doch werden wir
noch den ganzen Tag ständig auf und ab fahren, bis wir am Ziel sind. Einerseits
verwünsche ich allmählich die nicht enden wollenden Aufstiege, andererseits bin
ich froh um jeden Meter, der uns noch vom Ende unserer Tour trennt.
Zum Glück ist auch dieser letzte Tag einmal mehr ein Volltreffer. Endlose
Trails, genussvolle bis schwierige Abfahrten und das Meer ist noch so weit
entfernt! Durch dichten Wald, auf schmalen Pfaden, folgen wir der Bikeroute
Richtung Ventimiglia. Noch immer sind
wir weit weg vom Ziel... oder doch nicht? Unvermittelt endet der Singletrail! Es
folgen 200 m Asphaltstrasse und plötzlich stehen wir direkt über Ventimiglia.
Die Stadt im Vordergrund, dahinter das Meer - genial!
Erleichtert fahren
wir hinunter ans Meer, wo wir erst einmal ein grosses Bier geniessen und uns so
richtig darüber freuen, das Ziel erreicht zu haben, auch wenn unsere
Begeisterung durch die Tatsache etwas getrübt wird, dass wir morgen schon die
Heimreise antreten werden…
Fotos 12. Tag
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